Station 6 – Äquator

12. Mai 2016

Wir haben den Äquator erreicht. Das Meer ist hier 5264 m tief. Das Wasser hat sich etwas abgekühlt – von 30.2°C auf 29.4°C. Der Grund ist kaltes Tiefenwasser, das an die Oberfläche kommt (equatorial upwelling). An Deck ist es heiß und schwül und windstill. Wir machen eine 24-Stunden Station, das heißt, es wird rund um die Uhr gemessen. Das Ziel ist, tagesperiodische Prozesse zu erfassen. Der wichtigste ist natürlich die Photosynthese, aber als Folge davon haben auch viele andere mikrobielle Umsetzungen tagesperiodische Schwankungen. Gleichzeitig ist der Äquator eine wichtige Station für alle biogeografischen Fragestellungen.

Zunächst wird der MUC (Multiple Corer) mit der Seilwinde bis auf den Grund gefahren. Sedimentkerne der oberen 30 cm werden dadurch gezogen, daß sich beim Aufsetzen auf dem Sediment die Deckel der Rohre schließen. Anschließend wird der MUC wieder an Bord gehievt. Für die Tiefe von rund 5500 m braucht man etwa 7 Stunden. Die Wissenschaftler sind anschließend noch viele weitere Stunden mit der Verarbeitung der Sedimentkerne beschäftigt.

Die SONNE fährt dann erst ein paar Meilen, um einen Einfluß von aufgewühltem Sediment auf die Wasserproben auszuschließen. Jetzt ist die CTD dran, unser Wasserschöpfer. CTD steht für Conductivity / Temperature / Depth und ist die Kurzbezeichnung für einen riesigen Wasserschöpfer bestehend aus sternförmig angeordneten sogenannten Niskin-Flaschen, der zusätzlich eine Meßsonde für die drei genannten Parameter besitzt. Unsere CTD beherbergt 24 Niskin-Flaschen mit je 20 L Volumen, kann also mit einem Zug 480 L Meerwasser schöpfen! Sie wurde speziell für die SONNE von einem Team aus Oldenburg konstruiert und ist – nach einer Testung in der Nordsee – bei dieser Ausfahrt zum ersten Mal im Einsatz. Beim Herablassen werden die physikalischen Parameter gemessen, und beim Hochziehen werden die Flasche in der gewünschten Tiefe durch Mausklick in der Leitstelle geschlossen. Für den Betrieb der CTD sind zwei Mitarbeiter der Crew und ein Ozeanograf in der Leitstelle erforderlich.

Sobald die CTD wieder an Bord ist, werden die 480 L nach einem ausgeklügelten Plan an die verschiedenen Teams verteilt. Wir bekommen jeweils 10 L bis 20 L aus verschiedenen Tiefen der oberen Wassersäule. Anschließend wird das Wasser sofort filtriert, und die Filter bei -80°C gelagert. Für die 24 h Messung wird die CTD alle drei Stunden gefahren – das heißt, wir haben ununterbrochen zu tun. Am Anfang arbeiten wir zu zweit, und dann hat Jürgen Lust auf die Nachtschicht und filtriert im Endeffekt 24 h ohne Pause!

Die dritte für uns wichtige Probe wird durch die sogenannte in situ Pumpe genommen. Das ist eine batteriegetriebene gekapselte Kreiselpumpe, die auf 60 m herabgelassen wird und dort das Wasser durch eine Kaskade von 3 Membranfiltern pumpt. Nach drei Stunden hat sie circa 450 L Wasser filtriert. Jetzt wird sie wieder an Bord gehievt, und die Membranfilter werden sofort bei -80°C gelagert. Diese Proben sind besonders kostbar, denn erstens enthalten sie extrem große Mengen an DNA und RNA, was für bestimmte molekularbiologische Untersuchungen entscheidend ist. Und zweitens wird die Stoffwechselaktivität der Mikroorganismen nicht durch den stundenlangen Transport in der CTD und die Filterung an Deck verfälscht.

Schließlich wurde an dieser Position auch das Bongonetz gefahren. Es besteht aus zwei Plankton-Netzen mit 100 µm und 300 µm Porenweite, das eine halbe Stunde waagrecht an der Oberfläche gezogen wird. Dazu fährt die SONNE mit etwa einem halben Knoten. So wird Mikroplastik und Zooplankton für Kultivierungen gesammelt. Ich schaue mir aus reiner Freude an der Vielfalt die Proben unter dem Stereomikroskop an und mache Fotos.

Die Überschreitung des Äquators ist unabhängig von wissenschaftlichen Fragestellungen ein mythologisch gesehen einschneidendes Ereignis. Neptun kommt an Bord und inspiziert die ungewaschenen Landratten, sprich ungetauften Wissenschaftler, und akzeptiert sie in seinem Reich erst nach einer gründlichen Taufe. So war es auch auf der SONNE. In den Tagen davor wurden bereits Verhaltensregeln in den Gängen aufgehängt, und der Pool mußte gesperrt werden, um die Pollywogs (Schmutzfinken) mental auf die bevorstehenden Ereignisse einzustimmen.

Nachdem die Stationsarbeit am Morgen des 13. Mai beendet war, und der ein oder andere eine merkwürdige Müdigkeit verspürte, gab es rechtzeitig vor dem Frühstück, also um 5.30 h, die erste Vorwaschung der 34 Pollywogs. Danach kehrte relative Ruhe ein auf dem Schiff, man schlief auf Kammer. Um 15 h begann die Taufe. Es war kein leichter Job, soviel ist klar. Aber Neptun hatte die volle Unterstützung von uns sechs Getauften. Die Details können natürlich nicht auf den Blog ins Internet. Aber ein Foto von mir nach vollbrachtem Werk ist drin.

Beendet wurde dieser sehr lange Doppel-Tag mit einem Bar-Abend für Wissenschaftler und Crew, bei dem Rechnung auf die frisch Getauften ging. Cocktails, Stück 1 Euro, hat Renee, der Stuart, mit übermenschlicher Geschwindigkeit (etwa zwei pro Minute) und überirdischem Ergebnis produziert. Kein Wunder, daß nicht nur ich heute leicht angeschlagen bin. Ein ungewöhnlich friedlicher Samstag Abend.

 

One Comment

  1. Gudrun Kaiser

    liebe Irene,

    super, so online all Deine Abenteuer mitverfolgen zu können! Spannend und schön! Tolle Fotos!

    Wie gut, dass du schon getauft warst!

    Freu mich auf die nächsten Nachrichten!

    viele liebe Grüße,

    Gudurn

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