Bear Camp

 

Montag, 20. Juni 2016, Fähre nach Valdez

Jetzt muß ich euch erstmal erzählen, wie es zu den Bärenbildern gekommen ist. Ich bin auf der Fähre nach Valdez, durch den Prince William Sound, und bis zur Ankunft in Valdez sind es noch 3 Stunden! In Valdez finde ich hoffentlich irgendwo schnelles Internet.

Nach der Kayak-Tour zum Aialik-Gletscher sind wir nach Homer gefahren, einem kleinen Ort an der westlichsten Ecke der Kenai-Halbinsel. Homer ist ein irres Touristennest, berühmt für den Spit, eine Landzunge, an der links und rechts die Restaurants und Geschäfte aufgereiht sind und die Touristen in Massen flanieren. Eine Art Helgoland 100fach vergrößert. Die Schneeberge im Hintergrund sind gigantisch, und an sonnigen Tagen ist es wie am Mittelmeer. Homer war mal eine Hochburg der Hippies, man merkt es noch. Die Campingplätze sind randvoll mit den gigantischen Motorhomes der Amerikaner. Viele haben hinten an einer Spezial-Kupplung noch ein Allradfahrzeug – für Ausflüge auf unbefestigten Straßen! Wir haben uns den primitivst möglichen Campingplatz gesucht, direkt am Meer, und geschlafen wie die Steine. Am nächsten Morgen ging es um 5 h los!

Mit einem Propellerflugzeug (Typ Islander) sind wir zur Hallo Bay im Katmai Nationalpark geflogen, ein Flug von ca. 60 Minuten. Jens und ich, der Pilot, und 5 weitere Touristen. Kaum war der Motor auf Touren, war das Flugzeug schon in der Luft. Der Lärm war ohrenbetäubend, und die Aussicht atemberaubend. Unter uns ein total unberührtes, wildes Land. Herrlich mäandrierende Flüsse, Sümpfe, mit dichtem Küstenurwald bedeckte Berge, Vulkane. Holy cow, war ich glücklich.

Hallo Bay ist eine Bucht im Katmai Nationalpark. Dort ist der Flieger direkt auf dem Sandstrand gelandet. Und als wir alle ausgestiegen waren, ist er nicht mehr hochgekommen! Er hatte sich im Sand festgefahren und mußte mehrere Anläufe machen und einiges an Sand wegschaufeln (und ich glaube auch die Reifen aufpumpen) bis es geklappt hat. Aber der Pilot war vollkommen relaxt – er hat 20 Jahre Erfahrung und ist schon Hubschrauber im Irak geflogen.
Das Camp besteht aus 7 Zelten mit einem elektrischen Zaun außen rum. Nachts wird er angeschaltet und kann Schläge von 6000 Volt austeilen. Ansonsten gibt es keinen Strom und sehr wenig Wasser. In unserem Zelt waren zwei Liegen und zwei Schlafsäcke. Es gab auch noch ein Klozelt. Und im Kochzelt wurden wir mit Essen versorgt und mit Gesellschaft. Außer uns war noch eine amerikanische Familie da, Don und Linda, beide über 70, und ihr Sohn Jon, ungefähr 40 (hat Wildbiologie studiert und arbeitet jetzt mit Computern).

Als erstes gab es ein Safety-Briefing. Die wichtigsten Regeln waren, daß (1) niemand ohne Guide aus dem Camp rausgehen darf, (2) die Gruppe immer zusammen bleibt, und (3) man niemals vor einem Bär (oder Wolf) zurückweicht oder gar rennt, weil man dadurch den Beutereflex auslöst. Man kommt ihm genau so nahe, wie er es zuläßt, d.h. man respektiert seine Komfortzone, aber falls er aus welchem Grund auch immer auf einen zukommt, bringt man ihn dazu, weiterzugehen. Wie? Durch eskalierende Drohungen. Erst spricht man ruhig mit ihm, dann wird man lauter, dann brüllt man, schreit, haut auf den Rucksack, springt hoch, oder die ganze Gruppe macht diesen Radau. Das Ganze muß innerhalb von Sekunden passieren. Als allerletzte Eskalationsstufe hat der Guide immer die sogenannte Flare dabei, eine Art Rakete. Lance, unser Guide, hat schon die haarsträubendsten Geschichten erlebt, aber die Flare mußte er bisher erst ein einziges Mal einsetzen. Trotzdem, eine ordentliche Portion Respekt war die ganze Zeit dabei, denn ein wilder Bär ist ein wilder Bär.

Und dann ging es sofort los zu den Bären. Beim ersten Mal hat uns Lance geführt, und Jerry war mit zwei Tagesgästen unterwegs. Beide hatten Sprechfunkgeräte und waren in ständigem Kontakt, anfangs auch mit dem Piloten. Wir waren ungefähr 5 Stunden unterwegs, Lunchpakete und Wasser im Rucksack. Es war affenartig heiß, die Mücken schlimm. Es gibt keine Wege, das heißt die einzigen Wege sind die Pfade, die auch die Bären und Wölfe benutzen. Oft ging es über Bäche oder durch Sumpf oder Watt, deshalb waren wir immer mit Gummistiefeln unterwegs. Wir haben die ganze Zeit geredet, damit die Bären rechtzeitig ausweichen können, aber mein Herz hat trotzdem ordentlich geklopft. Lance hatte gesagt, daß dies die gefährlichste Zeit ist, weil sich die Bären paaren. Überall war alles voll mit Bärenspuren, manche gewaltig groß.
Wir sind durch bauchhohes Gras und Gebüsch gelaufen, und dann in einen Märchenwald. Der ganze Boden war dicht bewachsen mit Schachtelhalmen, uralte Ulmen mit dicken Moospolstern standen kreuz und quer, Lilienblüten dazwischen – es war unendlich schön.

Und dann ist uns doch genau auf diesem Pfad tatsächlich ein Wolf entgegengekommen! Es war der Alpha-Wolf, der sein Territorium abgelaufen ist, er war hochkonzentriert unterwegs, und als er direkt vor uns war, ist er uns ausgewichen. Um vielleicht zwei oder drei Meter ist er parallel zum Pfad durch den Wald an uns vorbeigelaufen, uns nur mit einem Seitenblick streifend. Vorher hat er eine Duftmarke gesetzt, und direkt nach uns auch nochmal. Und schon war er im Wald verschwunden. Fast hätte man ihn mit Händen greifen können, und trotzdem war es total unwirklich.

Wir standen wie vom Donner gerührt. Jens hat ein paar tolle Bilder gemacht. Ja, die kommen noch hier in den Blog. Danach sind wir weiter gegangen und haben die beiden Bärengeschwister auf der Sumpfwiese beobachtet, Brotzeit gemacht, das Watt besucht, die Bärengeschwister wieder auf der Sumpfwiese beobachtet, und dann zurück ins Camp. Dort hat Jerry Essen gekocht, und danach sind wir wieder für 4 Stunden raus zu den Bären. Diesmal haben sie im Watt nach Muscheln gesucht, gerauft, sich gejagt, und sind einmal sehr sehr nahe an uns vorbeigegangen. Lance hatte schon die Stimme erhoben, aber dann sind sie abgedreht. Und ganz zuletzt, auf dem Heimweg, hat der Wolf ein Wolfsgeheul angestimmt, und wir konnten ihn dort am Waldrand heulen sehen, und wir konnten beobachten, wie er seine Runde in der anderen Richtung gelaufen ist.

Und das alles an einem einzigen Tag!

wildnis3

 

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